5 Fakten zum Fortschritt beim Aufbau von Gaia-X-Datenräumen

Wie gelingt Gaia-X der Sprung aus Arbeitskreisen und Konzeptpapieren in die Praxis? Antworten liefert eine Studie im Auftrag des eco – Verband der Internetwirtschaft e.V. Fünf Fakten, die zeigen, wie weit die Vorarbeiten zu den ersten Gaia-X-Datenräumen vorangeschritten sind.

Stimmungsbild aus den Förderprojekten

Gaia-X tritt jetzt in eine entscheidende Phase ein: Mit den Gaia-X Federation Services (GXFS) steht die Basistechnologie für Aufbau und Organisation von Datenräumen in einer ersten Version bereit. Koordiniert wurde ihre Entwicklung vom deutschen Projekt GXFS-DE unter Leitung des eco und im Auftrag des deutschen Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK). Die GXFS entstanden dabei in Kooperation mit der Gaia-X Association for Data and Cloud (AISBL) dem Zentralverband der Initiative mit Sitz in Brüssel und dem französischen Projekt GXFS-FR.

Erstmals zum Einsatz kommt der Code für die GXFS in den Gaia-X-Förderprojekten, die zum Jahreswechsel 2022 ihre Arbeit aufgenommen haben. Bis 2024 unterstützt das BMWK elf Konsortien für die digitalen Leuchtturmprojekte mit 122 Millionen Euro.

Mit einer eigenen Studie wollte das Team rund um die Federation Services herausfinden, wie vertraut die Projekte bereits mit den Föderationsdiensten (GXFS) sind und welche Implementierungsstrategien sie verfolgen. Den Auftrag zur Studie erhielt Böcker Ziemen Consulting, unter Leitung von Dr. Jens Böcker, Professor für Marketing an der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg.

In einem zweistufigen Verfahren führten Jens Böcker und sein Team zuerst eine Onlineumfrage unter den Konsortialleitenden und technischen Leitenden aller elf Förderprojekte durch. Die Ergebnisse vertieften die Forscher in sieben Experteninterviews.

Präsentiert wurde die Studie „Strategien zum Aufbau von Gaia-X Ökosystemen mithilfe der Gaia-X Föderationsdienste – Im Dialog mit den Gaia-X Förderprojekten“ erstmals auf der GXFS Connect Anfang September in Berlin.

Arbeitsteilung zwischen Förderprojekten und Federation Services

Wichtig für das Verständnis der Studie ist die Arbeitsteilung zwischen den Federation Services und den Gaia-X-Förderprojekten. Denn die gesamte Initiative verfolgt – typisch für Europa – einen föderalen Ansatz:

Entlang von Branchen, Wertschöpfungsketten, Forschungsthemen oder geographischen Räumen gestalten Unternehmen und Institutionen künftig eigene Datenräume nach ihren Bedürfnissen. Dazu organisieren sie sich in selbstverwalteten Gaia-X-Föderationen, die Regeln und technische Vorgaben für ihre Mitglieder festlegen und überwachen. Die Förderprojekte leisten hierbei Pionierarbeit: Sie gründen die ersten Föderationen und entwickeln die allerersten Datenräume.

Trotzdem sollen am Ende die unterschiedlichen Datenräume gemeinsamen Werten folgen und technisch interoperabel sein, also auch untereinander kooperieren können. Hier kommen der Zentralverband AISBL und die Federation Services ins Spiel: Sie kümmern sich um das Gemeinsame und legen die Fundamente für das europäische Dateninfrastruktur-Ökosystem in Form von Regeln, Standards und Referenzarchitekturen sowie mit Hilfe der Föderationsdienste.

Bei den GXFS handelt es sich allerdings nicht um eine einsatzfertige Lösung, sondern um ein Open-Source-Framework. Es schafft die technische Basis für die Entwicklungsarbeit in den Förderprojekten und liefert Software-Komponenten, aus denen die Teams operative Dienste für ihre Datenräume entwickeln und kontinuierlich verbessern.

Die schönste Metapher über die Föderationsdienste stammt von Harald Wagener. Der Gruppenleiter Cloud und IT bei der Charité und Leiter des Förderprojekts Health-X bezeichnete die GXFS als „Seil über die Schlucht“:

Damit kann ich die Brücke bauen und anfangen, links und rechts anzubauen und meine Infrastruktur dazuzustellen, damit die Leute angenehm darüber gehen können.“ – Harald Wagener, Gaia-X Förderprojekt Health-X

Fakt 1: Alle GXFS-Arbeitspakete relevant für Förderprojekte

Die Studie zeigt: Die Verantwortlichen der Förderprojekte bewerten prinzipiell alle Föderationsdienste als relevant für die Entwicklung von Use-Cases.
Die GXFS umfassen dabei fünf Themengebiete oder Arbeitspakete:

  1. Das Management von digitalen Identitäten ist der zentrale Baustein für eine vertrauenswürdige Umgebung zum Austausch von Daten und zur Nutzung von Cloud-Diensten.
  2. Föderierte Kataloge ermöglichen zum ersten Mal eine standardisierte Marktübersicht und echte Vergleichbarkeit zwischen Angeboten von digitalen Diensten und Datenquellen.
  3. Für souveränen Datenaustausch sorgen die GXFS, indem Nutzer:innen die Hoheit darüber behalten, wie ihre Daten verwendet werden. Beispielsweise durch Dienste zur Datentrennung, für automatisierte Verträge oder das Protokollieren von Datentransaktionen.
  4. Mit den GXFS-Diensten für Regelkonformität überwacht eine Föderation, ob sich Teilnehmende an die gemeinschaftlich vereinbarten Regeln halten und ob Selbstbeschreibungen zutreffen. Auch die Kontrolle regulatorischer Richtlinien, etwa im Bereich Datenschutz, gehört dazu.
  5. Portale bilden die Benutzeroberfläche für die verschiedenen Föderationen und Datenräume. Auch hierfür liefern die GXFS grundlegende Code-Bausteine.


Die Einschätzung der Befragten zur Relevanz der GXFS variiert je nach Verantwortung: Die technischen Leiter interessieren sich zunächst vor allem für die operativen GXFS-Dienste, die Zugang zu und Bereitstellung von digitalen Diensten regeln.
Die Konsortialleiter haben einen fachübergreifenden Blick: Sie schauen auf die Nutzer und die Rahmenbedingungen, etwa für den souveränen Datenaustausch oder das Einhalten von Regeln.
Die Bewertungen der Arbeitspakete „Regelkonformität“ und „Portal“ fallen zum Durchschnitt der anderen Themen etwas ab. Einfluss auf ihre Relevanz hat dabei auch der Kenntnisstand der Beteiligten, wie der nächste Punkt zeigt.

Fakt 2: Mehrheit der Förderprojekte in der Planungsphase, Schwerpunkte bei Identitäts- & Katalogdiensten

Alle GXFS-Arbeitspakete sind bei den Förderprojekten grundsätzlich bekannt. Der Recherche-Fokus lag in den ersten Projektmonaten auf den Identitäts- und Vertrauens- sowie den Katalogdiensten. Zum einen, weil zu diesen Arbeitspakete die meisten Informationen verfügbar waren. Zum anderen, weil diese Dienste grundlegend sind für den praktischen Einsatz der künftigen Föderationen.

Innovation entsteht durch Vernetzung – mit den GXFS können wir alle Teilnehmer zweifelsfrei identifizieren. Die Vertrauensdienste gehen hierbei Hand in Hand mit den Selbstbeschreibungen und Katalogdiensten.“ – Dr. Jan Hendrik Schoenke, Gaia-X Förderprojekt AW4.0

Der Kenntnisstand zu den GXFS spiegelt sich auch in den Plänen, welche Dienste die Projektverantwortlichen einsetzen wollen. Die Themen „Regelkonformität“ und „Portal“ stellen sie vorerst hinten an.

Allerdings darf man diese Angaben nicht überbewerten: Die Förderprojekte befinden sich noch in einer frühen Planungsphase. Seit Jahresbeginn 2022 ging es vordringlich darum, sich einen Überblick zu verschaffen. Bei mehr und mehr GXFS-Diensten steigen die Teams jetzt tiefer in die Recherche ein. Nur mit wenigen Arbeitspaketen konnten sie sich bereits in aller Detailtiefe auseinandersetzen.

In den kommenden Monaten werden die Förderprojekte erste Konzepte für Software-Architekturen erstellen und damit beginnen, sie auf Basis des GXFS-Frameworks umzusetzen.

Wir sind gerade bei dem Arbeitsschritt, wo wir die Use Cases granular aufzubrechen versuchen – wann kommen welche GXFS-Dienste in Frage? Und im Hintergrund steht die technologische Vorbereitung. Wir arbeiten sehr eng an den Vorgaben von Gaia-X bzw. GXFS.“ – Dr. Shalini Sahoo, Gaia-X Förderprojekt Possible

Spätestens dann werden auch die Bedürfnisse der Nutzer eine stärkere Rolle spielen, so die Erwartung der Studienautoren. In den Experteninterviews gewannen sie den Eindruck, dass nicht alle Projekte Technik und Nutzersicht ausreichend abgleichen. Darum raten sie den Projektverantwortlichen, die Anwender direkt in die Projektarbeit einzubinden. Möglichkeit dazu böten Fokusgruppen (vor allem bei KMU und Privatanwendern), Begleitforschung (auch vergleichende Länderstudien) oder Nutzerstudien von Marktforschungsinstituten.

Fakt 3: Projekte drängen darauf, GXFS-Code einzusetzen

Bisher haben die Förderprojekte ihre Meilensteine pünktlich passiert. In den Experteninterviews zeigten sich die Projektverantwortlichen zuversichtlich, auch die nächsten Zwischenziele bis zum Jahresende zu erreichen.

Dabei betonten alle Befragten die Verfügbarkeit der GXFS-Codes als wichtigste Voraussetzung für weitere Fortschritte. Ihre einhellige Botschaft: „Codes, Codes, Codes – und wenn es ‚nur‘ Betaversionen sind!“ Insbesondere die technischen Leitenden würden selbst provisorische Programmzeilen in einer frühen Version für erste Tests und Prototypen nutzen, was bei der IT-Entwicklung durchaus üblich ist.

Bei Gaia-X wird zunächst einmal kein neues Meta-Produkt entwickelt, sondern eine gemeinsame Grundlage auf Basis von transparent dokumentierten und definierten Standards und Labels. Darum braucht es auch Zeit, bis es implementierbare Ergebnisse gibt. Aktuell gibt es klar definierte Spezifikationen, aber eben noch nichts zum Testen. Das ist dann der nächste Schritt, zu dem wir zum Beispiel durch eine Automatisierung auf Software-Ebene kommen. Dann sprechen wir von Codes und schließlich Prototypen für Anwendungsfälle.“ – Alina Rubina, Gaia-X Förderprojekt Tellus

Manche Förderprojekte behalfen sich bereits vor Veröffentlichung der GXFS mit Eigenentwicklungen. Einige hatten ihre Arbeit vor dem offiziellen Start des BMWK-Förderwettbewerb aufgenommen und bereits Vorablösungen entwickelt. Andere erstellten während der Gaia-X-Hackathons erste Quellcodes. Mit diesen Vorstufen sammelten die Projekte Erfahrungen und gewannen Zeit. Mit der Bereitstellung der GXFS wollen sie ihre Lösungen Gaia-X-konform anpassen.

Die Teilnahme an den Hackathons ist ein Schlüssel für den Projektfortschritt. Die Hackathons bringen nicht nur Quellcodes, sondern auch die Sicherheit, dass andere Projekte ähnliche Themen und Probleme haben.“ – Gino Barnard, Gaia-X Förderprojekt Possible

Inzwischen sind zehn von zwölf GXFS-Codepaketen verfügbar. Die übrigen Dienste sind in Arbeit, und wir hoffen auf eine Fertigstellung des Katalog-Dienstes noch in diesem Quartal. Der Dienst für das Thema Aufnahme- & Akkreditierungsverfahren ist ebenfalls in Planung. Bei letzterem kam es aufgrund mangelnder externer Angebote zu Verzögerungen bei der Auftragsvergabe.

Fakt 4: Vertrauen, Souveränität & Interoperabilität am wichtigsten

In den Experteninterviews wurde deutlich, dass die Förderationsdienste für die Projektverantwortlichen mehr sind als nur Code zum Betrieb von Föderationen. Neben der Technik sehen die Befragten die Werte, die den Föderationsdiensten und Gaia-X zugrundeliegen, als maßgebend für alle Förderprojekte.
Wie bei den Arbeitspaketen setzen sie dabei Schwerpunkte: speziell die Themen Vertrauen, Souveränität und Interoperabilität werden als Alleinstellungsmerkmale der Föderationsdienste in den Vordergrund gestellt.
Diese Werte oder Ziele stehen zugleich für die wichtigsten Anforderungen von Anwenderseite an das Gesamtprojekt Gaia-X. Damit sich die Initiative im Markt durchsetzt, brauchen künftige Datenräume
–          das Vertrauen der Teilnehmenden, besonders im Mittelstand,
–          echte Datensouveränität
–          und föderationsübergreifende Interoperabilität.
Nur so werde nach Ansicht der Befragten Gaia-X sein Versprechen einlösen, eine vielgestaltige Landschaft von Providern und Datenbesitzern in einem föderalen Datenökosystem nach europäischen Vorstellungen zu vernetzen.
Dabei machen sich die Teilnehmenden keine Illusionen, dass Technik alleine schon Vertrauen im Markt schaffen könnte. Entsprechend kritisierten manche Befragte die Bezeichnung „Trust-Framework“. Nach ihrer Überzeugung brauche Vertrauen vor allem Zeit. Mit dem GXFS-Framework lassen sich sichere Systeme aufbauen. Ihre Betreiber und Nutzer müssen diese Sicherheit in der Praxis aber auch erfahren.

Fakt 5: Gaia-X ist vor allem ein europaweiter Lernprozess

Mit Gaia-X hat die Europäische Union 2019 eines der weltweit ehrgeizigsten Vorhaben zur Digitalisierung gestartet. Mitgliedsstaaten sowie hunderte Unternehmen schaffen ein Ökosystem von Datenräumen, das Cloudplattformen und Datenquellen nach europäischen Werten vernetzt. Hierüber sollen Kunden in Zukunft digitale Dienste rechtssicher nutzen und Daten vertrauensvoll und souverän miteinander teilen.

Im Kern ist Gaia-X ein von den Anwendern getriebener Community-Prozess. Über 350 Mitgliedsunternehmen und -organisationen aus Wirtschaft, Wissenschaft und Verwaltung organisieren sich in nationalen Hubs und Arbeitsgruppen. Sie entwickeln die technischen Anforderungen für die Datenräume in ihren Branchen und Themenfeldern.

Die Befragten der Experteninterviews sehen GXFS als zentrales Instrument, das Digitalisierung auf einem völlig neuen Niveau für Deutschland und Europa ermöglicht. Gerade in der Kombination der verschiedenen Arbeitspakete schaffen die GXFS die technischen Voraussetzungen für datengetriebene Geschäftsmodelle im Einklang mit Werten wie Interoperabilität, Souveränität und Vertrauen. So lassen sich Datensilos aufbrechen und selbstbestimmt austauschen.

Mit inselübergreifenden Services schaffen wir einen großen volks- und betriebswirtschaftlichen Mehrwert in der Branche.“ – Wolfgang Müller, Gaia-X Förderprojekt iECO

Beeindruckt zeigten sich die Autoren der Studie noch von einem weiteren Punkt, der zeigt, wie ernst es allen Teilnehmenden ist und woher das wachsende Momentum für Gaia-X kommt:

Wer sich mit Gaia-X und GXFS zu beschäftigen beginnt, braucht vor allem eines: Sitzfleisch. Alle Förderprojekte bohren dicke Bretter und arbeiten sich in „fokussierter Hausaufgabentätigkeit“ durch das gesammelte Material an Fachartikeln, Whitepapern, technischen Dokumentationen und Deep Dives. Ein Team erstellte interne Leselisten für die unterschiedlichen Projektteilnehmer und aktualisiert sie laufend, um das Wissen kompakt verfügbar zu machen.

Wer sagt, dass es nicht genügend Informationen gibt, hat noch nicht alles durchgesehen, was zur Verfügung steht. Die Herausforderung ist alles zu sichten, zu priorisieren – und schlussendlich zu lesen.“ – Gino Barnard, Gaia-X Förderprojekt Possible

Hinzu kommt: Gaia-X und die GXFS lösen nicht nur technische Probleme. Ebenso müssen die einzelnen Föderationen die wirtschaftlichen Interessen ihrer Mitglieder austarieren. Alle Gaia-X Föderationen sollen sich gemeinsamen Mindeststandards und Regeln zur Digitalisierung verpflichten. Gaia-X ist darum auch eine politische Initiative. Entsprechend definieren sich alle Förderprojekte in den Experteninterviews über ihren Beitrag zu einer offenen Digitalisierung in Europa.

Das ist ein Level an Kooperation, das wir bei allen früheren Initiativen der vergangenen zwanzig Jahre nicht erlebt haben. Das ist wirklich unglaublich. In den Förderprojekten arbeiten Unternehmen zusammen, die zum Teil im harten Wettbewerb zueinanderstehen. Gemeinsam schaffen sie in Monaten, woran jeder für sich zuvor gescheitert ist.“ – Harald Wagener, Gaia-X Förderprojekt Health-X

Das Projektbüro für die Föderationsdienste wird die Fortschritte in den Förderprojekten weiterhin eng begleiten: Für Sommer 2023 planen wir eine Folgestudie zum Implementierungsstand der Föderationsdienste. Bis dahin werden die Piloten für die ersten Datenräume Konturen annehmen. Parallel steht zum Jahresende 2022 eine Stimmungsbild-Studie an, die den Stand rund um das Thema Akzeptanz von Gaia-X abbilden soll.


Das GXFS Connect Post Show Video finden Sie hier: https://youtu.be/Bqdr_MNXQSI

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