Notwendigkeit statt Wunschtraum: Wir sollten mehr über Resilienz und weniger über Souveränität sprechen

Interview mit Andreas Weiss, Geschäftsführer beim eco – Verband der Internetwirtschaft e.V.

Egal, ob Energie- oder Klimakrise, wir benötigen resiliente Daten-Infrastrukturen, um Herausforderungen unserer Zeit durch gemeinsame Nutzung von Daten zu lösen. Warum kollaborative Datenökosysteme kein europäischer Wunschtraum von einer besseren Welt sind, sondern eine realwirtschaftliche Notwendigkeit, mehr erfahren Sie im Interview mit Andreas Weiss, Geschäftsführer beim eco Verband.

Herr Weiss, fast 5 Jahre ist Gaia-X in der Welt. Ist Europa heute digital souveräner?

Gaia-X hat Momentum entwickelt und die Diskussion angetrieben. Das volkswirtschaftliche Potenzial von kollaborativen digitalen Geschäftsmodellen steht heute unbestritten fest. Wir sehen aber schon an der Definition von Souveränität, wie unterschiedlich die Erwartungshaltungen sind. Souveränität als Zielbild ist sehr vage und eigentlich nicht messbar. Resilienz (z.B. durch Redundanz) dagegen ist eine planbare Grundlage, um Selbstbestimmtheit zu erlangen.

Warum wird ein digital souveränes Europa gefordert?

Weil Souveränität in erster Linie Selbstbestimmtheit bedeutet. Egal, ob Menschen, Unternehmen, Länder oder Nationen, ein freies Europa ist ein Europa, in dem jede:r über sich selbst bestimmen kann. Und das nicht nur in Fragen des eigenen Lebens, sondern auch im Hinblick auf Informationen, Daten und intellektuelle Mehrwerte im Kern von Geschäftsmodellen.

Wie reguliert darf Selbstbestimmtheit sein?

Regeln und Gesetze schaffen Sicherheit, beeinflussen aber auch den Gestaltungsspielraum, den Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft brauchen, um zu prosperieren. Neben der Gesetzgebung gibt es auch privatwirtschaftliche Initiativen wie beispielsweise Gaia-X. Gaia-X erarbeitet grundsätzliche Anforderungen für eine freie und selbstbestimmte Datenökonomie.

Warum sind diese Anforderungen wichtig?

Um auf Basis internationaler Standards und europäischer Werte digitale Wertschöpfung aufzubauen, zu fördern und überhaupt erst zu ermöglichen, und das nicht nur für unseren Kontinent, sondern mit Raum für Selbstbestimmtheit auch für andere Volkswirtschaften..

Warum gerade auch für Deutschland?

Egal, ob Maschinen, Anlagen oder Rohstoffe – Produkte deutscher Unternehmen sind global gefragt. Eine dezentral verteilte Dateninfrastruktur kommt den ebenso vielschichtig und übergreifend verflochtenen Wertschöpfungsnetzwerken hiesiger Firmen entgegen, um Informationen entlang von Produktions-, Logistik- und Lieferketten souverän auszutauschen und kollaborativ zu verwerten.

Daten souverän austauschen und kollaborativ verwerten – wo geht diese Rechnung bereits volkswirtschaftlich auf?

Zum einen dort, wo Unternehmen KI-Anwendungen föderiert anlernen, um digitale Services zu realisieren und gemeinschaftlich zu profitieren. Zum anderen aber überall dort, wo uns Viruspandemie, Kriege, Energie- und Chipkrise jüngst ihren Preis abverlangt haben…

…heißt genau?

Wenn Lieferketten stocken, weil Tanker den Suez-Kanal blockieren oder Fabriken stillstehen, weil Prozessoren nicht verfügbar sind oder Produktionseinschränkungen aufgrund der Energieversorgung entstehen, dann wirkt sich das unmittelbar wirtschaftlich und gesellschaftlich aus. Die aktuellen Krisen zeigen, wie wenig souverän Abläufe sind, die keine Alternativen bieten und die zudem sehr zentralistisch verwaltet werden. Diversifiziert aufgebaut lassen sich Abhängigkeiten reduzieren, Schwankungen kompensieren, Risiken aufteilen und so die Resilienz steigern.

Was bedeutet das für die kollaborative Datenökonomie?

Dezentrale und verteilte Infrastrukturen sind souveräner und resilienter. Beispiel Internet: Fallen einzelne Netze, Server oder Dienste aus, lassen sich Datenströme variabel umlenken, sodass das Gesamtsystem intakt bleibt. Um dieses Konzept auch auf Cloud-Verarbeitung zu übertragen, werden nun in Europa immer mehr Edge Computing Ressourcen aufgebaut. Das bisherige Hyperscalermodell schafft nur Redundanzen von Megarechenzentren, die Edge Konzeption dagegen verteilt die Workloads auf viele autonome Verarbeitungsstandorte. Das wird auch mit dem aktuell notifizierten ICPEI CIS (Important Projets of Common European Interest – Cloud Infastructures and Services) unterstützt.

Warum bedarf es einer internationalen Ausrichtung?

Bei kollaborativen Datenökosystemen geht es nicht darum, Europa zu stärken, indem wir nur Cloud aus Europa für Europa bedienen. Wer unter Souveränität Marktmacht, Dominanz oder Protektionismus versteht, der ist auf dem Holzweg. Was wir als Ziel sehen sollten ist, dass Europa Teil der digitalen Wertschöpfung ist und selbst gestalten kann. Das gelingt aber nur, wenn wir der europäischen Wirtschaft auch Lösungen anbieten, die global funktionieren und auch in anderen Wirtschaftsräumen selbstbestimmt gestaltbar sind. Hier ist der eigentliche Balanceakt zu sehen, denn wir benötigen Antworten und Lösungen auf drängende Fragen der Zeit, die sich nicht nur aus Ereignissen wie den jüngsten akuten Krisen ergeben, sondern die auch perspektivisch langfristig mit Blick auf Nachhaltigkeit und Klimawandel sind.

Wie kann Europa mehr an der digitalen Wertschöpfung teilhaben und das ohne auf Kosten des Klimas zu wirtschaften?

Zunächst ist Digitalisierung ein notwendiger Ansatz um klimaneutraler zu werden. Es geht darum, mittels Daten und besserer Vernetzung mehr Transparenz zu schaffen und detaillierte Informationen für notwendige Entscheidungen zu erlangen. Bei der Energieversorgung müssen wir zum Beispiel besser nachvollziehen können, welche Energie zu welcher Zeit an welchem Ort benötigt wird. Für Produkte soll eine solche Informationstiefe über den digitalen Produktpass erzielt werden, der Komponenten, Materialien und chemische Substanzen oder Informationen zu Reparierbarkeit, Ersatzteilen oder fachgerechter Entsorgung transparent zusammenfasst. Um den Produktlebenszyklus vom Rohstoff bis zum Erzeugnis transparent abzubilden, ist eine Lösung gefragt, die Daten auf einer dezentralen und verteilten Infrastruktur rechtssicher verwalten kann.

Sind kollaborative Datenökosysteme also die Lösung für mehr Nachhaltigkeit?

Auf jeden Fall sind sie ein Teil der Lösung. Fest steht auch, solche Konzepte werden nicht ad-hoc den Plastikmüll aus den Weltmeeren holen. Aber es schafft die Umfeldbedingungen, die wir brauchen, um auch die ökologischen Herausforderungen unserer Zeit kollaborativ anzupacken und nachhaltig zu lösen.

Wir danken für das Gespräch!


Autor: Nils Klute, IT-Fachredakteur beim eco – Verband der Internetwirtschaft

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