Datenökonomie mit Gaia-X: „Für Deutschland, Europa und die Welt“

Digital mehr Werte schöpfen und dem Datenstandort Europa mehr Gewicht verleihen: Gaia-X treibt den Wandel von der produkt- zur datenzentrierten Welt voran. Warum Wirtschaft und Gesellschaft die Cloud-Technologie brauchen – darüber diskutierte die IT-Branche jetzt auf der Cloud Expo Europe.

Egal, ob Energiekrise, Coronapandemie oder Ukrainekrieg: „Die Welt ist im Wandel“, sagte Francesco Bonfiglio, CEO bei Gaia-X European Association for Data and Cloud AISBL, „digitale Souveränität wird von einer politischen Idee zu einer zentralen Zutat.“ Einer Zutat, die nicht nur neue Geschäftsmodelle möglich macht, sondern Gesellschaften intakt hält. „Die Ukraine hat wenige Tage vor der Invasion ihre Verwaltungsinfrastruktur in die Cloud ausgelagert“, sagte Sharinee Jagtiani, Wissenschaftlerin beim Hasso-Plattner-Institut für Digital Engineering, „Cloud Computing gehört zur kritischen Infrastruktur.“ Auf der Cloud Expo Europe diskutierte die IT-Branche jetzt über die Rolle der Technologie und die Möglichkeiten, die sie Wirtschaft und Gesellschaft bietet.

Gaia-X schließt defragmentierte Providerlandschaft zusammen

Egal, ob Lieferketten, Warenbewegungen oder Kundenbeziehungen: „Wir gehen von der produkt- zur datenzentrierten Welt“, sagte Bonfiglio, „Clouds sind die Infrastrukturen, über die alle Informationen fließen.“ Verkehrssysteme, die immer stärker befahren werden: „Während die Nachfrage steigt, schrumpft die Anzahl an Cloud-Anbietern“, sagte Bonfiglio. Die Folge: Konzentrieren sich immer mehr Informationen bei immer weniger Anbietern, drohen Abhängigkeiten. Ungleichgewichte, denen Europa Gaia-X entgegensetzt.

Gaia-X ist transparent und interoperabel“, sagte Bonfiglio. Und: „Gaia-X ist eine selbsterfüllende Prophezeiung“, sagte Peter Kraemer, Leiter beim Gaia-X Hub Germany. Eine Prophezeiung, die notwendigerweise real werden muss, um dezentrale Datenräume über verteilte Infrastrukturen auf Basis europäischer Werte und Standards zu vereinen. „Zum einen, um digital mehr Werte zu schöpfen,“ sagte Kraemer, „und zum anderen, um die defragmentierte Providerlandschaft Europas auf einer Infrastruktur für den zunehmenden Datenverkehr zusammenzuschalten.

Catena-X: Keimzelle für Deutschlands Digitalwirtschaft

Digital mehr Werte schöpfen und dem Datenstandort Europa mehr Gewicht verleihen: „Die Automobilindustrie steht im Mittelpunkt vieler Use Cases von Gaia-X“, sagte Ernst Stöckl-Pukall, Leiter des Referats für Digitalisierung und Industrie 4.0 beim Bundeswirtschaftsministerium. Warum das so ist: „Gewissermaßen ist die Branche eine Keimzelle für unsere Wirtschaft“, sagte Stöckl-Pukall. Eine Keimzelle, aus der Informationen dann immer häufiger digitale Wege in andere Branchen finden sollen – egal ob Subunternehmer, Zulieferer oder Vorleistungslieferant.

Dass das gelingt, zeigt Catena-X: „Wir sind in der Betaphase und sehr zufrieden“, sagte Julia Jeroch, Product Owner Catena-X bei BMW. Die ersten Kunden des Automobilherstellers kollaborieren bereits über das offene Datenökosystem. Damit es auch anderswo nicht nur bei erfolgreichen Betaphasen bleibt, daran arbeitet Gaia-X 4 Future Mobility: „Wir fassen sechs Projekte und 20 Use Cases zusammen“, sagte Frank Köster, Gründungsdirektor des Instituts für KI-Sicherheit beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt. Parkräume effektiver bewirtschaften, Routen nachhaltig optimieren oder Fertigungsqualitäten homogenisieren – die Projektfamilie des Gaia-X Hub Germany vernetzt Anwendungen horizontal, um datenbasierte Chancen schneller auszuschöpfen.

Gemeinsam entwickeln, schneller vorankommen

Potenziale und Chancen rascher realisieren – wo die Automobilbranche auf Tempo setzt, geht es anderen nicht schnell genug. „Gaia-X ist eine gemeinschaftliche Initiative“, sagte Lauresha Memeti, Projektmanagerin beim GXFS-Projekt, „schneller voran kommen wir nur, wenn sich mehr Menschen einbringen, mitarbeiten und mitentwickeln.“ Das dafür notwendige Set an Softwarewerkzeugen hatte das vom eco – Verband der Internetwirtschaft geleitete GXFS-Projekt erst kürzlich auf GitLab veröffentlicht. „Dabei ist Geschwindigkeit nur die eine Seite der Medaille“, sagte Kai Meinke, Geschäftsleiter bei deltaDAO, „die andere ist Reichweite.“ Erst dann, wenn immer mehr ihre Informationssilos über die Gaia-X-Dateninfrastruktur öffnen, macht das die Sache für alle interessanter.

KI im Mittelstand: Daten teilen und smarte Applikationen realisieren

Gerade kleine und mittlere Unternehmen sind noch zurückhaltend“, sagte Roland Fadrany, COO bei Gaia-X European Association for Data and Cloud AISBL, „der Data Act soll das ändern“. Über die Verordnung möchte die Europäische Union Informationen einfacher verfügbar und nutzbar machen. Denn: „Oft sind Daten im Mittelstand nicht in ausreichender Menge vorhanden, um beispielsweise Algorithmen anzulernen“, sagte Dr. Oleg Arenz, Wissenschaftler an der TU Darmstadt in der Paneldiskussion von EuroCloud Native, der Cloud-Native-Initiative von EuroCloud Deutschland.

Mehr Daten, um Künstliche Intelligenz (KI) zu trainieren und smarte Apps zu realisieren: „Beispielsweise können KI-Anwendungen Packern im Versand helfen, die stets optimale Paketgröße für eine Lieferung zu ermitteln“, sagte Lars Thomas, Chief Strategy Advisor bei inovex. Eine Lösung, die überall im Warenhandel gefragt sein dürfte und die sich für alle bereitstellen lässt, wenn jeder Einzelne seine Informationen mit anderen austauscht. „Applikationen folgen dann fast von allein“, sagte Falk Borgmann, Head of Consulting bei Deepshore, „schließlich ist die Open-Source-Community schnell und umsetzungsstark.“ Was entscheidend ist: „Die Komplexität zu entkoppeln“, sagte Frank Chlebusch, Manager ECM & Archiving Solutions bei Schwarz IT. „Mittelständische Firmen brauchen smarte datenbasierte Anwendungen, die sich einfach nutzen lassen“, sagte Dr. Nils Kaufmann, der EuroCloud Native leitet und die Diskussion moderierte.

Föderal, frei und offen: Skalierbarer Bausatz und ideelle Blaupause zugleich

Daten souverän teilen, um KI-Modelle föderiert anzulernen – Ziele, die sich über die offene Infrastruktur von Gaia-X erreichen lassen. „Dazu beseitigt Gaia-X asymmetrische Beziehungen“, sagte Jagtiani. Und das zunehmend international. In Japan und Südkorea gibt es bereits Gaia-X Hubs. Auch Südafrika ist interessiert. „Wir bauen Gaia-X nicht nur für uns“, sagte Bonfiglio. Schließlich arbeitet die Initiative an einem Standard für das Cloud Computing, über den sich Vertrauen technologisch beschreiben und zuverlässig gewährleisten lässt. „Länder haben ihre Gesetze und Unternehmen ihre eigenen Regeln“, sagte Bonfiglio, „Gaia-X liefert alle Bausteine, um nationale Gesetze einzuhalten, unternehmerische Interessen auszugleichen und vertrauensvoll ins Geschäft zu kommen.“ Ein skalierbarer Bausatz, der dabei ideelle Blaupause zugleich ist. Denn: „Wir leben in einem föderalen Land in einem föderal organisierten Staatenbund“, sagte Andreas Weiss, Geschäftsführer beim eco Verband, „welche Vorteile das bietet, erfahren wir jeden Tag.“ Nicht anders die Vorteile und Hebel, die Gaia-X freisetzen wird: „Für Deutschland, Europa und die Welt“, sagte Bonfiglio.

Die Cloud Expo Europe fand am 10. und 11. Mai in Frankfurt am Main statt.


Autor: Nils Klute, IT-Fachredakteur und Projektmanager Kommunikation bei EuroCloud Deutschland

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