Warum uns Wertschöpfung aus Daten noch schwerfällt

Das Silicon Valley erfand das Internet und die Cloud – und damit die Infrastruktur für die Datenökonomie des 21. Jahrhunderts. Und Europa? Wir steuern unser politisches Know-how bei: für eine Föderation mit fairen Spielregeln, verlässlichen Standards und öffentlicher Technologie. Denn noch fehlt es an den Rahmenbedingungen, damit Unternehmen, Behörden sowie Bürgerinnen und Bürger Daten sicher teilen und gemeinsam produktiv nutzen können. Erfahren Sie in unserer Blogreihe, wie die europäische Initiative Gaia-X zum „Betriebssystem“ für den digitalen Binnenmarkt in Europa wird.

Altgriechische Urgöttin auf Digitalkongress

Vor zwei Jahren stieß der damalige Wirtschaftsminister Peter Altmaier noch auf Skepsis, als er die europäische Initiative Gaia-X auf dem Digitalgipfel in Dortmund vorstellte. Dass ausgerechnet eine altgriechische Urgöttin Pate für das Vorhaben stand, sorgte nicht gerade für mehr Zutrauen. Trotzdem deutet ihr Name in die richtige Richtung: Benannt nach der antiken Erdgöttin Gaia, die als eine der ersten Gottheiten aus dem Chaos entstand, soll Gaia-X Ordnung für die europäische Cloud-Wirtschaft stiften.

Wertschöpfung aus Daten bedeutet: Teilen von Daten

Dass Daten zur zentralen Ressource im 21. Jahrhundert werden, bestreitet heute niemand mehr. Aber wer die Spielregeln für die digitale Wirtschaft festsetzt, ist noch nicht ausgemacht. Bisher bestimmt eine Handvoll Privatunternehmen aus den USA und China das technisch Machbare. Ihre Cloud-Plattformen machen Austausch und Verarbeitung riesiger Datenmengen im globalen Maßstab überhaupt erst möglich.

Innovationen wie neue Impfstoffe, vernetzte Industrieproduktion oder smarte Städte entstehen heute aus Daten und Datenströmen. Was diese Daten so wertvoll macht, ist ihre Verknüpfung. In modernen Gesellschaften sammeln und speichern ganz unterschiedliche Akteure und Organisationen immer mehr Daten, immer öfter sogar in Echtzeit. Durch Teilen dieser Daten entstehen Wissen, neue Fähigkeiten und Technologien.

Teilen braucht Vertrauen

Für Unternehmen jedoch sind die eigenen Daten ein schützenswertes Gut. Sie bergen ihre Geschäftsgeheimnisse und ihr geistiges Eigentum. Bereitwillig teilen werden Unternehmen nur, wenn sie die Souveränität über ihre Daten nicht preisgeben müssen. Das ist nicht nur eine Frage wirksamer Gesetze, wie zum Beispiel für den Datenschutz. Unverzichtbar sind außerdem technische Verfahren und Standards, die eine datensouveräne Zusammenarbeit praktikabel machen. Es fehlt ein politisch-technisches Betriebssystem für digitalisierte Märkte.

Beispiel: Meeresschutz im 21. Jahrhundert

Wie vielversprechend Wertschöpfung aus Daten in der Theorie ist und wie schwierig Datensouveränität in der Praxis, zeigt die Suche nach Munitionsresten aus den letzten beiden Weltkriegen, von denen noch 1,6 Millionen Tonnen in Nord- und Ostsee verrotten. Warten ist keine Option: Nach Jahrzehnten im aggressiven Salzwasser lösen sich die Geschosshüllen inzwischen auf, vergiften die maritime Umwelt und mache eine Bergung immer riskanter.

Das Problem ist: Niemand weiß heute noch, wo die Munitionsreste versenkt wurden. Doch vielleicht verraten Daten ihre Position. Das zumindest glauben die Gründer des Start-ups north.io, das aus Daten von Wasserproben, zu Fischbeständen, zur Beschaffenheit des Meeresbodens und über lokale Meeresströmungen die Lagerstätten der Giftstoffe entschlüsseln will.

Woran datenbasierte Kooperation bisher scheitert

Alle nötigen Daten liegen vor. Aber ihr Verknüpfung gestaltet sich schwierig, weil sie von verschiedenen Akteuren erhoben und gesammelt werden: von Forschungseinrichtungen, internationalen Organisationen, NGOs und Unternehmen. Bevor Dritte darauf zugreifen dürfen, muss eine ganze Reihe von Fragen geklärt sein:

  • Wie lassen sich Daten in Cloud A mit einem digitalen Service in Cloud B verknüpfen?
  • Wie wird der Zugriff transparent und nachvollziehbar geregelt?
  • Wie belegen Datenbesitzer, Datennutzer und Diensteanbieter ihre Identität? Wer kontrolliert ihren Zugriff?
  • Wie ist sichergestellt, dass die Daten nur für den angegebenen Zweck verwendet werden?
  • Wo findet man leistungsfähige Dienste, die den passenden Sicherheitsstandard für jede Datenklasse anbieten?
  • Wie lassen sich solche Kooperationen regeln ohne Datenschutzgutachten, bilaterale Verträge mit allen Akteuren, eigens programmierte Schnittstellen und technische Notlösungen, sondern voll automatisiert und per Mausklick?

Probleme derselben Art stellen sich in der vernetzten Industrieproduktion, wenn Unternehmen in der Lieferkette sensible Daten in Echtzeit teilen und verarbeiten. Oder wenn Gesundheitsministerien tagesaktuell den Zusammenhang zwischen Impfquote und Inzidenz aus verschiedenen Daten ableiten wollen. Oder wenn Schiffsreeder die Meeresdaten aus unserem Beispiel statt zur Munitionssuche dazu nutzen wollen, um Schiffsrouten anhand lokaler Meeresströmungen zu optimieren oder Forscher geeignete Anbauflächen für Seegras suchen, um damit CO2 in großem Maßstab zu binden?

Schwierig wird es immer, wenn wir Daten von unterschiedlichen Urhebern, aus fremden Quellen und Systemen verknüpfen wollen. Spätestens jetzt wird auch offensichtlich: Kein einzelner Plattform- oder Cloud-Anbieter gleich welcher Größe könnte den gordischen Knoten alleine durchschlagen, sofern nicht jedes Mal alle Akteure ihre Daten auf seiner Plattform speichern.

Ein transparentes und rechtssicheres Cloud-Ökosystem für Europa

Aber wie wollen wir in Zukunft das Teilen von isolierten Daten auch für mittelständische Unternehmen, NGOs, Forschungsabteilungen und Behörden einfacher und sicherer machen – damit nicht nur digitale Plattformmonopolisten Zugang dazu haben?

Gesetze, Spielregeln und Standards, wie wir sie heute kennen, also auf Papier, von Menschen gelesen und angewendet, reichen dazu nicht aus. Es braucht auch Technologie, um Anwendung und Gewährleistung zu automatisieren. Sie muss fester Bestandteil unserer technischen Infrastruktur werden.

Genau hier setzten Deutschland und Frankreich an, als sie zum Jahreswechsel 2019/2020 Gaia-X ins Leben riefen. Die europäische Initiative will Datensouveränität und Datenverfügbarkeit für Unternehmen, Organisationen und Bürger in der digitalen Ökonomie sicherstellen. Und nicht zuletzt: Innovation und Wertschöpfung aus Daten fördern. Dazu soll Gaia-X die Cloud-Dienste europäischer Anbieter zu einem Ökosystem mit gemeinsamen Regeln, Standards und Technologien vernetzen. Willkommen sind auch außereuropäische Anbieter, sofern sie sich diesen Regeln verpflichten.

Nach dem Konzeptpapier des Bundeswirtschaftsministeriums wird Gaia-X aus dreierlei Komponenten bestehen: Regeln, Standards und technischer Infrastruktur.

Dazu gründeten eine Reihe von deutschen und französischen Organisationen gemeinsam die Gaia-X Association for Data and Cloud (AISBL). Sie koordiniert die Arbeit an Gaia-X. Nationale Hubs organisieren die Zusammenarbeit in den EU-Mitgliedsstaaten und koordinieren Gaia-X Forschungsprojekte. In einzelnen Datenräumen wiederum schließen sich Unternehmen und Organisationen zusammen, um Regeln und Technologien für einzelne Branchen und Themenfelder zu entwickeln. Marispace-X etwa lautet der Name für den Dataspace aus unserem obigen Beispiel zur datengestützten Munitionssuche. Hier wollen Unternehmen, Forschungseinrichtungen, NGOs und staatliche Institutionen kooperieren, um unsere Daten über Meere für neue Erkenntnisse und Wertschöpfung zu nutzen.

Auf bald,
Andreas Weiss & Thomas Sprenger


Jeden Monat auf LinkedIn und www.gxfs.eu

Hier auf LinkedIn sowie auf www.gxfs.eu führen wir Sie jeden Monat durch die Welt von Gaia-X. Unsere Analysen und Interviews präsentieren ihnen Hintergründe und Einblicke, wie eine europäische Initiative und ihre Mitstreiter ein Ökosystem für die Wertschöpfung aus Daten schaffen wollen.

Kopf dieser Artikelreihe ist Andreas Weiss. Als Leiter für digitale Geschäftsmodelle bei eco sowie als Direktor von EuroCloud Deutschland_eco ist Andreas Weiss bestens mit der Internet- und Cloud-Industrie in Europa vernetzt und vertraut. Seine Erfahrungen bringt er in die Gaia-X Federation Services (GXFS) ein, dessen Projekteams für die Entwicklung der Gaia-X-Kerntechnologien verantwortlich sind. Unter Federführung des eco wird das GXFS-DE-Projekt zudem vom deutschen Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) gefördert und steht im engen Austausch mit der Gaia-X Association for Data and Cloud (AISBL). Unterstützt wird Weiss auf diesem Blog von Thomas Sprenger, der als Autor und Texter seit zwanzig Jahren über den digitalen Wandel schreibt.

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