Eclipse Foundation übernimmt Gaia-X Föderationsdienste: Mehr Quervernetzung für Communitys zur digitalen Souveränität

Im Interview mit Michael Plagge, Direktor Ökosystem-Entwicklung, Eclipse Foundation

Fast alle Open-Source-Projekte zur digitalen Souveränität liegen inzwischen bei Europas größter Open-Source-Stiftung. Künftig moderiert die Eclipse Foundation auch die Entwickler-Community für die Gaia-X-Föderationsdienste. Nach Überzeugung von Michael Plagge, Direktor Ökosystem-Entwicklung, erreichen die einzelnen Projekte gerade eine kritische Masse. Im Interview verrät der Branchenexperte, wie seine Stiftung den Initiativen einen entscheidenden Schub geben will.

Die Übergabe der Gaia-X Föderationsdienste (GXFS-DE) an die Eclipse Foundation ist nicht dein erster Kontakt zu Gaia-X?

Tatsächlich befasse ich mich seit 2020 mit Gaia-X. Zuerst für meinen damaligen Arbeitgeber, die Alibaba Cloud, die Gründungsmitglied bei der Gaia-X AISBL wurde, dem Gaia-X-Dachverband in Brüssel. In meiner aktuellen Rolle bei der Eclipse Foundation kümmere ich mich um Pflege und Wachstum unseres Netzwerks vor allem in der DACH-Region. Hier spielt Gaia-X eine wichtige Rolle. Und auch persönlich spricht mich die Idee digitaler Souveränität an.

Was macht aus deiner Sicht digitale Souveränität so relevant?

Als Vater zweier heranwachsender Kinder frage ich mich, womit sie in zwanzig Jahren ihr Auskommen haben werden. In den USA und China entwickeln sich digitale Innovationen viel schneller als bei uns in Europa. Unsere Mittelständler, ja selbst unsere Konzerne sind zu klein, um Plattformunternehmen mit mehr als einer Billion Dollar Marktkapitalisierung etwas entgegenzuhalten. Wir Europäer waren hundert Jahre erfolgreich, jetzt brauchen wir neue Formen der Kollaboration, um wettbewerbsfähig und innovativ zu bleiben.

Du spielst auf den Open-Source-Ansatz an. Wie soll quelloffene Technologie-Entwicklung die europäische Wirtschaft zukunftsfähig machen?

Open Source ist nicht die Lösung für alle Probleme. Aber es bietet einer kleinteiligen Unternehmenslandschaft die Chance, ihre Kräfte zu bündeln. Nur vereint verfügen unsere Unternehmen über ausreichende Ressourcen, um digitale Innovationen auf breiter Front voranzubringen. Durch Entwicklung von Basistechnologien, Rahmenbedingungen, Infrastrukturen und Ökosystemen schaffen wir ein Fundament, auf dem jedes einzelne Unternehmen aufbauen kann.

Wie verändern sich die Gaia-X Föderationsdienste als Open-Source-Projekt durch Übergabe an die Eclipse Foundation?

Das Projekt öffnet sich jetzt vollständig für Entwicklungsbeiträge aus der Community. Wir unterscheiden bei Open-Source-Projekten drei Aspekte: die Lizenz – wir sprechen von der Nutzung – sowie die Beitragsregeln und das Kollaborationsmodell. Die Föderationsdienste wurden zwar bereits unter Open-Source-Lizenz veröffentlicht. Doch bisher durfte niemand eigenen Code beitragen – bis auf die Dienstleister:innen, die mit der Programmierung der ersten Version des Frameworks beauftragt worden waren. Beitragsregeln und Kollaborationsmodell waren für die Community noch geschlossen. Mit dem Wechsel zur Eclipse Foundation ändert sich das: Jetzt darf jeder mitmachen!

Welche weiteren Vorteile bringt die Migration zur Eclipse Foundation?

Die Gaia-X-Projekte in unserer Obhut profitieren von unserer Governance für Open-Source-Projekte, die sich in zwanzig Jahren Praxis und Hunderten Projekten bewährt hat. Dieses Regelwerk basiert auf den folgenden drei Prinzipien:

Erstens: Offenheit. Jede und jeder darf mitmachen, die oder der bereit ist, sich an die Governance unserer Stiftung zu halten.

Zweitens: Transparenz. Alle Entscheidungen werden öffentlich dokumentiert.

Und drittens: Neutralität. Alle genießen die gleichen Rechte und Pflichten. Die Eclipse Foundation agiert als neutraler Treuhänder. Dies drückt sich zum Beispiel dadurch aus, dass die Markenrechte für Projektnamen grundsätzlich bei der Eclipse Foundation liegen

Wie wirkt sich das auf die Entwicklungsarbeit in der Community aus?

Zum Beispiel durchleuchten wir alle versteckten Abhängigkeiten bei Lizenzfragen. Ebenso kümmert sich unser Team darum, dass sich alle Akteure an die Governance-Regeln halten. Im Alltagsstress denken Entwickler:innen schon mal: Die kleine Entscheidung ist nicht so wichtig, das schreibe ich jetzt nicht in die Mailing-Liste. Dann braucht es jemanden, der Offenheit und Transparenz einfordert. Auch wenn etwa Diskussionen in Projekten unsachlich werden, greift unser Moderationsteam ein. Mit unserem Code of Conduct sorgen wir dafür, dass die Community-Arbeit auf der Langstrecke funktioniert.

Die Föderationsdienste laufen bei euch nicht mehr unter dem Namen GXFS, sondern unter Eclipse XFSC. Wofür steht das Kürzel und wozu der Namenswechsel?

Eines unserer Prinzipien heißt Neutralität. Das bedeutet, dass die Eclipse Foundation, wie eben erwähnt, grundsätzlich alle Markenrechte an ihren Projektnamen besitzt. Stell dir vor, du hast zwanzig Unternehmen, die zusammenarbeiten wollen, aber ein Unternehmen beansprucht die Rechte am Projektnamen. Nehmen wir weiter an, das Projekt ist sehr erfolgreich. Plötzlich sagt das Unternehmen: Schönen Dank, ihr habt eine tolle Marke aufgebaut, die vermarkten wir in Zukunft lieber selbst. Die Marke für die Gaia-X Federation Services, kurz GXFS, liegt beim Dachverband in Brüssel. Darum können wir kein Projekt unter demselben Namen aufnehmen, weil eine dritte Partei die Markenrechte besitzt. Deshalb heißen die Föderationsdienste bei uns fortan Eclipse XFSC. Das steht für Cross Federation Service Components. Das eco-Team wird die Kommunikationsaktivitäten weiterhin unter dem Namen GXFS fortführen.

Außer den XFSC betreut ihr noch weitere Open-Source-Projekte aus dem Kontext Gaia-X und digitale Souveränität. Welche sind das?

Fast alle Open-Source-Lösungen, die in den vergangenen zwei bis drei Jahren zum Thema digitale Souveränität entstanden, liegen mittlerweile bei der Eclipse Foundation. Wir betreuen den Open-Source-Ableger von Catena-X, Tractus-X. Genauso die Eclipse Data Space Components, die eine Spezifikation der International Data Spaces Association (IDSA) umsetzen, oder die Verwaltungsschale der Industrial Digital Twin Association (IDTA). Und jetzt die Gaia-X Föderationsdienste.

Welchen Mehrwert bietet es, wenn möglichst alle Projekte bei der Eclipse Foundation liegen?

Eine einheitliche und erprobte Governance-Struktur ist ein echter Mehrwert. Mehrere Governances hingegen nicht, also wenn Software-Komponenten für einen Anwendungsbereich bei verschiedenen Stiftungen lägen: Das würde nur die Komplexität erhöhen. Allein eine konsistente IP-Policy aufzubauen, beansprucht in der Regel anderthalb bis zwei Jahre. Solche Umwege sparen sich unsere Mitglieder.

Wie lässt sich aus den verschiedenen Software-Projekten für Gaia-X und digitale Souveränität ein Ganzes formen?

Was fehlt und was wir als neue Dimension anbieten wollen, ist die Quervernetzung unter den Communitys. Wir erreichen jetzt eine kritische Masse: Die Föderationsdienste für sich lösen noch kein Endanwender-Problem. Das tun auch die Eclipse Dataspace Components nicht. Jetzt aber haben wir genügend Komponenten zusammen, um Gesamtlösungen für digitale Souveränität zu entwickeln. Das wird spannend. Das wird der ganzen Community noch mal einen echten Schub geben.

Wie gewinnt man eine Community für die Mitarbeit?

Community bedeutet: Hier arbeiten Menschen mit Menschen. Du arbeitest nicht nur Pflichtenhefte und To-Do-Listen ab. Man muss Leute miteinander vernetzen, Angebote machen. Verabschiede dich von der Vorstellung, da draußen würde eine magische 100.000-Entwickler:innen-Community nur darauf warten, deinen Programmcode zu verbessern. Du hast nur die Community, die du dir selbst erarbeitest. Und das heißt: Menschen und ihre Leistungen wertzuschätzen. Ich kenne Open-Source-Projekte, die ein beeindruckendes Eigenmarketing betreiben, aber ihre Community vergessen. Auf Podien wird erzählt, wie großartig die Lösungen sind, und nicht wie großartig die Menschen, die das gebaut haben. Im Chinesischen heißt es: „Jemandem ein Gesicht geben“. Ich mag diese Redewendung. Du kannst Entwickler:innen zum Beispiel auf Konferenzen oder bei Hackathons eine Bühne bieten. Darauf sollten wir bei Gaia-X jetzt den Schwerpunkt legen. Gerade bei den Föderationsdiensten habt ihr damit den Anfang gemacht und die Community immer wieder eingebunden.

Wie hoch schätzt du den Willen bei Unternehmen ein, sich künftig unabhängig von Fördergeldern für digitale Souveränität zu engagieren?

Tatsächlich ist das ein kritischer Zeitpunkt im Projekt. Bisher wurde jede Programmmierstunde bezahlt. Damit habt ihr vom GXFS-Projektbüro in den vergangenen Jahren Entscheidendes aufgebaut. Die Steuerzahler:innen haben das Fördergeld bereitgestellt und den Start ermöglicht. Ab jetzt sind Unternehmen und einzelne Expert:innen gefordert, die Entwicklung mit eigenen Mitteln fortzuführen. Diese Arbeit kann ihnen auch unsere Stiftung nicht abnehmen, weil wir nicht inhaltlich getrieben sind. Wir moderieren, prüfen Lizenzbedingungen, kümmern uns um Aspekte wie IP-Recht. Der Ball liegt somit im Feld der einzelnen Branchen und Unternehmen. Jetzt zeigt sich, wie wichtig uns digitale Souveränität wirklich ist. Also packen wir’s an!

Michael Plagge, vielen Dank für das Gespräch.


Andreas Weiss & Thomas Sprenger


Jeden Monat auf LinkedIn und www.gxfs.eu

Hier auf LinkedIn sowie auf www.gxfs.eu führen wir Sie jeden Monat durch die Welt von Gaia-X. Unsere Analysen und Interviews präsentieren ihnen Hintergründe und Einblicke, wie eine europäische Initiative und ihre Mitstreiter ein Ökosystem für die Wertschöpfung aus Daten schaffen wollen.

Kopf dieser Artikelreihe ist Andreas Weiss. Als Leiter für digitale Geschäftsmodelle bei eco sowie als Direktor von EuroCloud Deutschland_eco ist Andreas Weiss bestens mit der Internet- und Cloud-Industrie in Europa vernetzt und vertraut. Seine Erfahrungen bringt er in die Gaia-X Federation Services (GXFS) ein, dessen Projekteams für die Entwicklung der Gaia-X-Kerntechnologien verantwortlich sind. Unter Federführung des eco wird das GXFS-DE-Projekt zudem vom deutschen Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) gefördert und steht im engen Austausch mit der Gaia-X Association for Data and Cloud (AISBL). Unterstützt wird Weiss auf diesem Blog von Thomas Sprenger, der als Autor und Texter seit zwanzig Jahren über den digitalen Wandel schreibt.

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